Der Menschenführer – Egidius Braun zum 87. Geburtstag
27. Februar 2012 Zurück zur Artikelübersicht »
Was einem Mann zum Geburtstag schreiben, dessen gesamtes Leben und Lebenswerk hier im Internet ausgebreitet liegen?  Der einem privat kaum bekannt ist, sondern „nur“ beruflich aus DFB- und UEFA-Zeiten?
Vielleicht dieses: In einem der zahlreichen Gespräche beim Warten auf irgendetwas in einem der unzähligen Hotels dieser Welt hat Egidius Braun dem Reporter mal gestanden: „Als Kind wollte ich eigentlich Lokomotivführer werden.“ Dann ist er Menschenführer geworden. Rainer Kalb über den DFB-Ehrenpräsidenten, der heute seinen 87. Geburtstag feiert.

Nur auf festen Gleisen zu fahren, die andere für ihn gelegt hatten, das lag ihm letztlich nicht. Er wollte in reifen Jahren selber die Gleise legen, die Richtung bestimmen, die Weichen stellen. Abgesehen von gelegentlichen Wutausbrüchen, die ihn ereilten, wenn ein zugelassener Gast beim Skatspiel einen Anfängerfehler beging – oh ja, er kann nachkarten! – ist auf diesem beschränkten Raum Platz zur Schilderung von zwei Schlüsselerlebnissen, die den jetzt 87-Jährigen charakterisieren.

WM 1986 – Die Geburtsstunde der Mexico-Hilfe

Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko. Basislager Querétaro. Karl-Heinz Rummenigge und Toni Schumacher, die Kampfhähne des Bayern- und des Kölner-Clans, beschimpfen sich zur Freude der Journalisten, dass die Fetzen fliegen. Da kommt Delegationsleiter Egidius Braun von einem Besuch aus einem Waisenhaus zurück. Dem Chef müssen auch die Puterköpfe zuhören. Und Egidius hebt an, von dem Elend zu berichten, das er gesehen hat. Die explosive Stimmung in der Mannschaft bekommt er gar nicht mit – oder ignoriert sie.

Ein kleines Klavierkonzert nach dem Abendessen tut sein übriges. Der Streit ist inzwischen längst vergessen, die Mexico-Hilfe, damals gegründet, besteht immer noch. Toni Schumacher hat kürzlich noch 20.000 Euro gespendet.

WM 1998 – Der Angriff auf Daniel Nivel

Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich. In Lens, nach dem Spiel gegen
Jugoslawien, schlagen deutsche Hooligans den Gendarm Daniel Nivel fast tot.  Noch heute leidet er unter den Folgen. Egidius Braun erfährt die Nachricht im UEFA-Hauptquartier in der Hotel-Lobby eines Luxushotels, schräg gegenüber der Gare Montparnasse. Er erbleicht, er verstummt, dann weint er. Betreten wenden sich die Journalisten ab. Wann hat man einen 66-Jährigen öffentlich weinen sehen? UEFA-Präsident Lennart Johansson kommt, nimmt ihn tröstend in die Arme. “Soll ich die Mannschaft zurückziehen?“ – Da wird die Stimme des schwedischen Elches hart. „Nein. Du darfst das Turnier nicht beschädigen. Deutschland gehört dazu.“ Auch die Journalisten finden ihre Stimme wieder. Sie erinnern Braun daran, dass Kapitulation nicht zu seinen Charaktereigenschaften gehört. Er kapitulierte nicht. Er kapituliert seit zwölf Jahren vor seiner Krankheit nicht.  Und predigt weiter Tag für Tag das Motto des von ihm hoch geschätzten Kirchenlehrers Augustinus: „Man gibt Almosen, um der Not abzuhelfen, aber nicht, um die Faulheit auf die Weide zu treiben.“

Herzlichen Glückwunsch, Egidius Braun!