03. Dezember 2015 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Einer der Nachwuchssportler, die im Rahmen der Nachwuchseliteförderung paralympisch durch die DFB-Stiftung Egidius Braun und die Deutsche Sporthilfe unterstützt werden, ist Kai Kristian Kruse aus Schwerin. Der 24-Jährige zählt zu den talentiertesten Radsportlern mit Handicap in Deutschland. Rainer Kalb stellt den Spitzensportler vor.
Deutschland auf dem Weg nach Rio – Radsportler Kai Kristian Kruse
Die Karriere des Kai Kristian Kruse im Behindertensport ist schon eine ganz besondere. Vor knapp dreieinhalb Jahren war er schon Teilnehmer an den Paralympics in London und holte damals die Silbermedaille im Mixed-Vierer der Ruderer. Im kommenden Jahr in Rio de Janeiro will der sehbehinderte Mann, der für den Schweriner Sport-Club startet, wieder Edelmetall holen. Diesmal allerdings im Radsport – im Tandemfahren – zusammen mit Stefan Nimke. Der 37-Jährige ist im Radsport alles andere als ein Unbekannter. Der Ausnahmesprinter ist sechsmaliger Weltmeister und Olympiasieger, eine absolute Koryphäe.
Nimke und Kruse haben sich irgendwie gesucht und gefunden. „Einer der Bundestrainer hat gesagt: wenn wir den Helm aufhaben, dann kann man nicht mehr sehen, wer wer ist“, berichtet Kruse. Bei der Weltmeisterschaft in diesem Jahr holten die beiden die Bronzemedaille über 1.000 Meter und den vierten Platz im Sprint. Leider ist der Sprint nicht mehr im paralympischen Programm, „so dass der Fokus auf den 1.000 Metern liegt“, sagt Kruse, angehender Physiotherapeut.
Bei der Weltmeisterschaft im italienischen Montichiari vom 17. bis 20. März 2016 wollen sie mit einer guten Platzierung das Ticket für Rio lösen. Dass sie die nötige Klasse besitzen, daran besteht kein Zweifel. Beide sind mittlerweile schon recht gut eingespielt. Während im Sprint der Kampf gegen das zweite Tandem für einige Abwechslung sorgt, ist über die 1.000 Meter die Zeit entscheidend. Der Kampf gegen die Uhr: Über den Kilometer müssen sie alles rausholen, was geht, um die Konkurrenz auf die Plätze zu verweisen. „Im Sprint sage ich, wenn wir vor dem Gegner liegen, was wir machen müssen. Wenn wir hinter den anderen fahren, ist natürlich Stefan derjenige, der vorgibt, was zu tun ist“, skizziert Kruse, dem Bundespräsident Joachim Gauck im November 2012 das Silberne Lorbeerblatt verlieh, die Aufgabenverteilung in den Sprintwettbewerben.
„Wir sind jeweils mit 200 Prozent am Start!“
„Wenn wir unsere Leistung abrufen, dann sollten wir auch das Ticket für die Paralympics lösen“, so Ex-Ruderer Kruse. Leider gab es damals in London einige Querelen aufgrund der Besetzung im Vierer, sogar der Rechtsweg wurde von einem Sportler beschritten, der nicht für die Paralympics nominiert wurde. „Das ging über drei Instanzen“, berichtet Kruse, der zusammen mit Nimke vom ebenfalls legendären Sprinter Emanuel Raasch als Trainer betreut wird. „Ich habe mich früher gar nicht mit dem Behindertensport beschäftigt“, betont das Tandem-Ass, „dabei bin schon als Zehn- oder Elfjähriger mit dem Rennrad durch die Gegend geschossen.“ Schließlich entdeckte ein Betreuer Kruses Talent für den Behindertenradsport. Und Nimke wurde sein idealer Partner: „Bei ihm weiß ich, dass er wie ich mit 200 Prozent am Start ist.“
Vom Berliner TSC ist Kruse inzwischen zum SSC nach Schwerin gewechselt, weil Nimke auch aus der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns stammt. „Man muss den Sport fast Vollzeit betreiben, sonst hat man keine Chance“, berichtet er. „Ohne die finanzielle Unterstützung – auch von der DFB-Stiftung Egidius Braun – könnte ich das gar nicht machen.“ Das Studium im Bereich Physiotherapie muss deshalb auch vor Rio ein wenig hinten angestellt werden. Kruse: „Ich arbeite derzeit in einer Praxis auf einer halben Stelle mit 20 Stunden in der Woche, damit fallen zwei Tage komplett für das Training aus.“
Ideales Tandem – Stefan Nimke und Kai Kristian Kruse
Ziel: Ein Quartier im Olympischen Dorf
Die starke Sehbehinderung – Kruse hat noch ein Sehvermögen von zehn Prozent – resultierte aus einem Unfall im Kleinkindalter. Als Dreijähriger stieß er mit einem Sechsjährigen beim Laufen in der Halle zusammen und erlitt eine schwere Gehirnerschütterung. Der Sehnerv wurde so stark geschädigt, dass ein Verlust des Sehvermögens die Folge war. „Ich kann aber so viel sehen, dass ich sogar allein mit dem Fahrrad fahren kann“, sagt Kruse, „ich kann zwar zum Beispiel nicht das Kennzeichen eines Autos erkennen, sehe aber, ob etwas auf der Straße liegt.“ Ex-Radprofi Robert Förster gehört dann schon mal zu jenen, mit denen er auf dem Fahrrad unterwegs ist.
In Rio ist Kruse im Übrigen noch nicht gewesen. Er würde sich freuen, die Atmosphäre dort erleben zu dürfen. Bei den Paralympics in London waren 10.000 bis 15.000 Zuschauer bei den Ruderwettkämpfen, eine phänomenale Zahl. Leider waren die Ruderer nicht im „Olympischen Dorf“ untergebracht: „Ich war aufgrund der langen Anreise von anderthalb Stunden nur einmal dort. Ich würde mich natürlich freuen, alle Athleten in Rio im dortigen Olympischen Dorf treffen zu können.“ Und die Aktien für Kai Kristian Kruse und Stefan Nimke stehen nicht schlecht. In punkto Ehrgeiz und Willensstärke ist das Duo die Idealbesetzung.