12. Mai 2016 | Zurück zur Artikelübersicht » |
30 Jahre Mexico-Hilfe: Rudi Völlers Spende brachte den Ball 1986 ins Rollen. Anlässlich des runden Geburtstages einer bemerkenswerten Hilfe besucht Reinhard Grindel mehrere Sozialprojekte in Mexiko. Nun also in der „Casa de Cuna“ – wo alles begann. DFB-Redakteur Thomas Hackbarth hat den DFB-Präsidenten dorthin begleitet.
Es tutet und dann steht die Leitung. Drei Jahrzehnte nach ihrem ersten Treffen sprechen sich Madre Adela und Egidius Braun wieder, vielleicht ein letztes Mal. Die 84-jährige katholische Ordensschwester presst das Iphone an ihr Ohr, eine halbe Welt entfernt spricht der 91-jährige DFB-Ehrenpräsident. „Es fühlt sich sehr gut an, nochmal ihre Stimme zu hören“, sagt sie.
Madre Adelas Herzlichkeit hatte ihn auch vor 30 Jahren erreicht. Aus 5.000 Mark wurden 5,5 Millionen Euro. Im WM-Sommer 1986 waren sich die beiden in der „Casa de Cuna“ begegnet, hier im Haus der Wiege. Die Großstadt Querétaro hatte Braun, damals noch nicht DFB-Präsident, gleichwohl als Schatzmeister und Delegationsleiter an strategisch wichtigen Positionen angelangt, als Teamquartier ausgesucht. Fest überzeugt und manchmal beseelt davon, dass der Fußball mit all seinen Möglichkeiten eine soziale Aufgabe habe, wollte Braun zumindest einigen Nationalspieler das arme Mexiko zeigen. „Pater Braun“ nannten ihn die Journalisten erst ironisch und später anerkennend.
Madre Adela erzählt: „Wir erfuhren von dem Besuch der deutschen Nationalmannschaft erst kurz davor, das lief alles sehr kurzfristig. Nicht dass ich aufgeregt gewesen wäre. Ich muss gestehen, Fußball interessiert mich bis heute nicht die Bohne. Signor Braun betrat also unser Waisenhaus und umarmte mich. Sprachlich gab es kaum Schnittstellen, wir Schwestern sprachen kein Deutsch, Signor Braun und die Spieler kein Spanisch. Emotional aber haben wir uns sofort verstanden.
Madre Adela: “Der Besuch der Mannschaft war ein Segen!”
Später, als das Turnier begann, mogelte sich die deutsche Mannschaft durch die Gruppe. Dänemark wurde Gruppensieger, uns reichte ein 2:1 über Schottland fürs Achtelfinale gegen Marokko. Im Viertelfinale warf die DFB-Auswahl den Gastgeber nach Elfmeterschießen raus. Und ganz am Ende war es Maradonas Turnier. Doch an jenem Nachmittag in der „Casa de Cuna“ ging es nicht um Tore und Punkte, nicht um die Hand Gottes. Obwohl, Gottes Hand sei schon im Spiel gewesen, meint Madre Adela. „Der Besuch der Mannschaft war ein Segen“.
Madre Adela sitzt im Schatten eines Baumes. Mai ist der heißeste Monat in Mexiko. Der DFB-Präsident war heute zu Besuch, die Mädchen trugen schneeweiße Seidenkleider. Als Reinhard Grindel und die 14-köpfige Delegation eintrafen, winkten die Kinder mit Papierfähnchen. „Alemanha Ra Ra Ra“. Ein Festtag. Ganz anders als vor 30 Jahren. Madre Adela erzählt: „Es war eine furchtbare Zeit, wir hatten praktisch nichts. Manche Kinder mussten auf dem Boden schlafen. Ich weiß noch, dass Rudi Völler einen Scheck über 5000 Mark unterschrieb. Wir standen in der Kapelle, und ich nahm den Scheck von Signor Völler und steckte ihn direkt unter den Sockel des Kreuzes. Ich dachte mir, da ist er sicher.“
Und so kam es. Dank Brauns „Feuereifer“, wie ein Zeitzeuge erzählt, konvertierten Spender von überall zur „Mexico-Hilfe“. Der 86er WM-Kader spendete sofort und stellte sich in den Dienst von Brauns guter Sache. Karl Rothmund hatte sechs Jahre lang die Geschäfte der DFB-Stiftung Egidius Braun geleitet, aber erst jetzt reiste er nach Mexiko. „Wir lasen die Berichte, schauten uns Fotos an. Wir wussten, dass es erfolgreich ist. Aber erst jetzt verstehe ich direkt, was hier passiert. Der deutsche Fußball kann stolz sein auf die Mexico-Hilfe“. Wie Rothmund sieht es auch Eugen Gehlenborg, im DFB-Präsidium für Sozialthemen verantwortlich, und geschäftsführender Vorsitzender der finanzstärksten DFB-Stiftung: „Das Vermächtnis von Egidius Braun ist bis heute so lebendig, das war mein Eindruck während unseres Empfangs hier in der Casa de Cuna. Mit den Sternsingern und hier in Querétaro mit den Ordensschwestern haben wir strategisch wie operativ starke Partner.“ Entscheidend war der Anfang. Madre Adela eroberte das Herz von Pater Braun – und sicherte so ein besseres Leben für tausende mexikanischer Kinder.
Braun: “Meine Kinder sorgen fortan für ihre Kinder
Sie sitzt unter dem Baum, einige Kinder sind dazugekommen. Madre Adela erzählt: „Am Tag nach dem Besuch der Deutschen gingen wir mit Sandwiches und Tacos im Korb zum deutschen Quartier. Die Wachleute wollten uns nicht reinlassen. Frauen nicht erlaubt, sagten sie. Aber wir sind doch katholische Ordensschwestern und wollen uns nur für eine Spende bedanken. Doch es half nichts. Wir warteten, bis endlich Egidius Braun kam.“ Madre Adela sagt, Braun habe dann ihre Hand genommen. „Ab heute würden seine Kinder für meine Kinder sorgen. Ich verstand das damals nicht gleich, aber er meinte die deutschen Nationalspieler.“
5,5 Millionen Euro sind seitdem geflossen, weitere 1,21 Millionen Euro bereits bis 2020 budgetiert. Bundespräsident Johannes Rau eröffnete einst einen Neubau in der „Casa de Cuna“ und seit Braun schaute jeder DFB-Präsident vorbei. Acht Projekte in Mexico-City, Chiapas, Puebla, Guadalajara und eben Querétaro können mit Mitteln der Mexico-Hilfe betrieben werden. Immer zum Wohle der Kinder Mexikos. Die kleine Ordensschwester mit dem großen Herzen hat viel bewirkt. Das Telefongespräch ist fast beendet. Adios. Beide lachen nochmal.
Unter www.dfb.de/tv/video/mexico-hilfe-casa-de-cuna-wo-alles-begann finden Sie ein Video zu dem Besuch im Casa de Cuna.